Wenn Worte zu Gewalt führen (Illu: Ralf Salecker)

„Lügenpresse“ ist das Unwort des Jahres 2014

… und schon beginnt die Schlammschlacht in den Foren und Kommentaren

Lügenpresse, das Unwort des Jahres 2014 (Illustration: Ralf Salecker)
Lügenpresse, das Unwort des Jahres 2014 (Illustration: Ralf Salecker)

Immer im Januar gibt es ein spannendes ritual. Eine Jury kürte aus 733 Vorschlägen das „Unwort des Jahres“. „Lügenpresse“ ist es diesmal geworden. „Erweiterte Verhörmethoden“ eine Umschreibung für Folter und „Russland-Versteher“ kamen auf die Plätze zwei und drei. Kaum verkündet überschlagen sich die Medien und ganz besonders die Kommentatoren in den Foren.

Seit 1991 sitzt eine unabhängige Jury zusammen, um festzustellen, was nach ihrer Meinung auf ein mangelndes Sprachbewusstsein oder eine mangelnde Sprachsensibilität hinweist. Weniger theoretisch betrachtet sind es Begriffe, die gegen die Prinzipien von Menschenwürde und Demokratie verstoßen, einzelne gesellschaftliche Gruppen diskriminieren und/oder euphemistisch, verschleiernd oder gar irreführend sind.

„Sozialtourismus“, das „Unwort des Jahres“ 2013 illustriert dies sehr gut. Hier wurde die Not anderer Menschen mit einem eher vergnüglichen Begriff versehen, um diese zu diskriminieren und ihnen jegliches moralische Recht abzusprechen. „Gutmensch“ ist noch so ein ein Begriff, der von den gleichen Leuten gerne genutzt wird. Er hatte es 2012 nicht auf das „Siegertreppchen“ geschafft.

In der Begründung der Jury heißt es u.a.: „Das Wort „Lügenpresse“ war bereits im Ersten Weltkrieg ein zentraler Kampfbegriff und diente auch den Nationalsozialisten zur pauschalen Diffamierung unabhängiger Medien. … Eine solche pauschale Verurteilung verhindert fundierte Medienkritik und leistet somit einen Beitrag zur Gefährdung der für die Demokratie so wichtigen Pressefreiheit, deren akute Bedrohung durch Extremismus gerade in diesen Tagen unübersehbar geworden ist.“

Allen Jurymitgliedern (Sprachwissenschaftlern und Journalisten) gemeinsam ist deren intensive Beschäftigung mit Sprache. Ihnen geht es bei dieser Aktion nicht um eine formale Auseinandersetzung mit eher theoretischen Sprach-Regeln, sondern um die Auswirkung von Sprachgebrauch im Alltag. „Lügenpresse“ ist aktuell zu einem Schlagwort geworden, welches von den PEGIDA-Demonstranten wie ein Mantra vor sich hergetragen wird.

Erwartungsgemäß polarisiert die Auseinandersetzung mit den verkündeten „Preisträgern“. So hat ein jeder Betrachter seine eigene Vorstellung, was das passende „Unwort des Jahres“ sein müsse und warum es gerade das ausgewählte nicht sein dürfe.

Kritisiert wird u.a. die fehlende demokratische Mehrheitsentscheidung. Schließlich hätten es doch die „meistgenannten Begriffe viel eher verdient“. „Schon mal den einfachen Mann auf der Straße gefragt was der so für Vorschläge hätte…“ Würde man so vorgehen, hätte eine automatisierte Onlineabstimmung völlig ausgereicht. Diejenigen Internetnutzer „mit dem schnellen Finger“ hätten schnell ihren Wunschkandidaten gepuscht. In Zeiten von facebook und Co. geht dies sehr einfach – und undifferenziert. Das wäre Fastfood-Demokratie – oder Stammtisch-Demokratie.

Alle Medien lügen

„Lügenpresse“ wird von PEGIDA-Demonstranten bewusst oder unbewusst als Totschlagargument eingesetzt, um sich so jeder intensiven inhaltlichen Auseinandersetzung zu entziehen. Die bösen „Leitmedien“ sind grundsätzlich verdammungswürdig, ohne zu definieren, welche warum so tituliert werden. Echte Alternativen stehen nie zur Disposition. Es ist zu bezweifeln, dass die Nutzer all diese kritisierten Medien selbst ausführlich betrachtet haben, um zu ihrer ehernen Erkenntnis zu gelangen.

Halbgare Begründungen oder das bloße Hörensagen genügen zur vereinfachten Ausbildung eines Weltbildes. Im Regelfall ist diese Betrachtungsweise weniger objektiv, als vielmehr ein diffuses quasireligiöses Gefühl.

Wenn alle Medien lügen, stellt sich die Frage, woher die Demonstranten ihre Erkenntnis gewinnen. Scheinbar fällt sie vom Himmel oder stammt von „Vorbetern“… Dann ist die scheinbare objektive Basis nichts anderes, als ein Glaubensbekenntnis – und Glaube ist nun mal nicht rational beweisbar.

Nüchterne Objektivität geben die wenigen Argumentationswilligen (in Foren) als Wunschbild für ihr ideales Informationsmedium an. Ein Wunsch, der jenseits aller Realität ist. Medien können nur versuchen, der Wahrheit so nahe, wie möglich zu kommen. Wer würde schon spröde Information lesen? Wer kann sich sicher sein, dass alle Informationen erfasst wurden? Wer kann sicher sein, dass ein Berichterstatter auch alles gesehen, verstanden und in den Bericht eingearbeitet hat. Es braucht keine konkrete Absicht, um DIE Realität unbewusst zu verfälschen. Wenn fünf Zeugen eines Tathergangs eine Beschreibung liefern sollen, dann wird es naturgemäß eine große Streuung geben. Die Frage ist nur, wieviel Realitätsveränderung ist normal und ok?.

Im fiktiven Idealfall soll sich jeder intelligente Leser seine eigene Meinung auf der Basis von neutralen Informationen bilden. Wer sich die Realität der „Informationsbeschaffungsbereitschaft“ anschaut, kann da nur zweifeln den Kopf schütteln. Ohne die Bereitschaft des Nutzers, sich aktiv aus unterschiedlichen Quellen zu informieren und Informationen grundsätzlich kritisch (aber undogmatisch) zu hinterfragen, kann sich an der Tendenz zu Totschlagargumenten, die das Leben ja so ungemein erleichtern, nichts ändern.

Experten der GfdS klären über die Herkunft der Schlagwörter der PEGIDA auf

Eigentlich müsste man schon bei dem Kürzel PEGIDA selbst anfangen. Patriotismus, Europäer, Islam und Abendland (und damit auch u.a. christliche Moralvorstellungen) bilden eine diffuse nationale und in der Tendenz ausgrenzende Melange – vom Größenwahn, für alle Europäer oder DAS Christentum sprechen zu wollen, einmal abgesehen.

Der Tagesspiegel hat den christlichen Abendlandbegriff so erklärt: „Ein fiktiver Begriff, mit dem Geschichte verdreht und Stimmung gemacht wird. … Es ist bezeichnend, dass gerade in einem Deutschland, in dem das Christentum verdunstet und das religiöse Wissen schwindet, das Fremde nun ausgerechnet religiös verortet wird. Aus jedem Türken wird jetzt „der“ Islam. … Das Christentum ist die vorherrschende Religion Europas … dadurch geblieben, dass es außerkirchliche gesellschaftliche Entwicklungen und zunächst mit dem Bannfluch belegte Ideen … nicht nur aufgenommen, sondern im Nachhinein auch noch biblisch-theologisch legitimiert hat.“ (Tagesspiegel). (www.tagesspiegel.de/kultur/kulturgeschichte-von-orient-und-okzident-kreuzzug-der-worte-das-abendland-ist-eine-fiktion/11209464.html)

Der Gebrauch von Worten im „normalen Leben“ ist niemals abstrakt. Es ist immer angebracht, diese in ihrem genutzten Umfeld zu betrachten.

Die „Gesellschaft für deutsche Sprache e. V.“ (GfdS) hat sich den Sprachgebrauch der PEGIDA einmal genauer angeschaut und die Herkunft dieser Begriffe beschrieben, die von vielen unreflektiert skandiert werden.

Das sind doch keine Nazis…

Stephan Hebe, ein Jurymitglied, Journalist mit Innen-, Sozial- und Gesellschaftspolitik als Arbeitsfeld, begründet seine Entscheidung für die „Lügenpresse“ mit einer These: „Wer einen pauschalen und noch dazu historisch belasteten Kampfbegriff wie „Lügenpresse“ verwendet, begibt sich zum einen in schlechte Gesellschaft und begräbt zum anderen die dringend notwendige Mediendebatte unter einer unbrauchbaren Parole.“ (www.nachdenkseiten.de/?p=24552)

Natürlich sind nicht alle Teilnehmer an den Demonstrationen Nazis. Solch ein Schubladendenken würde einem vergleichbaren Argumentationsmuster folgen, wie es die PEGFIDA-Anhänger tun. Die Teilnehmer machen sich die Begriffe und deren Inhalte zu eigen, weil sie mitgehen, die gleichen Parolen skandieren und nicht den Hauch von Nachdenklichkeit zeigen. Schuld sind schließlich immer die anderen…

Rassismus und Ausländerfeindlichkeit sind in unserer Gesellschaft fest verankert. Umfragen und Studien belegen diesen Umstand immer wieder. Darum fallen einfache Parolen wie braune Begriffe wie „Lügenpresse“, „Volksverräter“, u. ä. auf fruchtbaren Boden. Darum gehen 25.000 Menschen in Dresden auf die Straße.

Die taz beschrieb es in ihrem Jahresrückblick: „Die Ethnisierung der sozialen Frage und Rassismus, ob nun als „Überfremdung“, „Asylantenflut“ oder „kriminelle Ausländer“ thematisiert, sind seit jeher Kernthemen der Rechtsextremen.“

Auf eine Anfrage des SPD-Innenpolitiker Tom Schreiber mit dem Inhalt, „wie der Senat die Unterwanderung der Demonstrationen gegen Flüchtlingsunterkünfte durch Rechtsextreme bewerte“, gab es von der Senatsinnenverwaltung eine deutliche Antwort: Von einer „Unterwanderung der Proteste im eigentlichen Wortsinn“ könne nicht gesprochen werden, da sie „von Anfang an durch Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten initiiert“ worden seien. (Tagesspiegel)

Auch am Berliner PEGIDA-Ableger BÄRGIDA beteiligten sich nach Einschätzung des Verfassungsschutzes Rechtsextreme. (Berliner Morgenpost)

PEGIDA-Anhänger sind von Verlustängsten getrieben. Sie suchen nach Sündenböcken und sehen eine Welt von Schwarz und Weiß, Gut und Böse. So ist ein echter Diskurs nicht möglich – der ist aber auch von ihren Anhängern nicht gewollt…

 

About Ralf Salecker

Ralf Salecker, freier Fotograf und Journalist (www.salecker.info)