blooming in the dark – Ausstellung im historischen Gewölbekeller in der Altstadt Spandau

Kunst kann uns hinabziehen in jene Gefilde, die unser Denken verbannt hat

Neun Künstler begleiten uns in blooming in the dark »hinab!« – nicht nur in den Keller der städtischen Peripherie, sondern auch in unser Souterrain, in die unbewussten, subjektiven Grenz- und Zwischenräume. Sie gestalten Arbeiten, die sich in die Ecken des urbanen und psychischen Raums einnisten, aus Decken, Nischen und Höhlungen wachsen.

blooming-the-dark -  Ausstellung im Historischen Keller in der Spandauer Altstadt
blooming-the-dark - Ausstellung im Historischen Keller in der Spandauer Altstadt

Grußwort zur Ausstellung von Andrea Theissen, Leiterin des Kunstamtes Spandau

Es ist immer eine Freude, einen Ort neu zu entdecken, ganz besonders, wenn es sich um einen Ort handelt, dessen Geschichte bis ins Mittelalter zurückgeht. Der Historische Keller (in der Spandauer Altstadt) gehörte zu einem Patrizierhaus, aus dem 15. Jahrhundert.
Später dann, im 18. Jahrhundert, wurde hier preußische Geschichte geschrieben, denn es diente dem Bruder König Friedrichs II. als Quartier, wenn er sein Regiment in Spandau besuchte. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Gebäude durch Bomben stark beschädigt und später abgetragen; Archäologen haben dann in den 1980er Jahren den alten Keller wieder ausgegraben und die Spuren seiner Geschichte freigelegt.

Nun wird dieser verwinkelte, schwer zu entschlüsselnde Ort mit seinen Tonnengewölben, gewaltigen Mauern und unterschiedlichsten Einbauten zur Hülle für junge Kunst. Denn Künstlerinnen und Künstler aus Japan, Deutschland und anderen Ländern haben sich zusammengefunden, um Raum für Raum mit ihren Mitteln, mit Video, Projektion und Skulptur zu ergründen und uns neue Perspektiven auf scheinbar Vertrautes zu bieten. Dafür danke ich den Künstlerinnen und Künstlern herzlich.

Vernissage: 12. Mai, 17:00- 22:00 Uhr
Ausstellung: 13. Mai- 9. Juni 2012. Sa & So 14:00- 18:00 Uhr
und nach Vereinbarung: 0176/24794153 oder contact@chiba-madoka.net

Historischer Keller

  • Cari-Schurz-Str. 49/51 (durch den Torbogen)
  • 13597 Berlin
  • U7 Altstadt Spandau

ausstellende Künstler

  • Madoka Chiba
  • Nadya Dittmar
  • Philipp Hennig
  • Eliana Heredia
  • Kaoru Hirano
  • Sirnone Koch
  • Mareike Lee
  • Toshihiko Mitsuya
  • Daigoro Yonekura

blooming in the dark

Ich begann damit, dass ich mir gründlich und grundsätzlich alle romantische Musik verbot, diese zweideutige grossthuerische schwüle Kunst, welche den Geist um seine Strenge und Lustigkeit bringt und jede Art unklarer Sehnsucht, schwammichter Begehrlichkeit wuchern macht […] ihr „Ewig-Weibliches“ zieht uns – hinab!
(Nietzsche)

Nadya Dittmar: o.T. (Urform) 2012 - Nylonfaden (0.25 mm), ca. 27 x 45 cm
Nadya Dittmar: o.T. (Urform) 2012 - Nylonfaden (0.25 mm), ca. 27 x 45 cm

Nietzsches Angst vor der unbeherrschbaren, ambivalenten Kraft der Kunst, in uns verborgene Sehnsüchte und Begehrlichkeiten zu erwecken, ja wuchern zu lassen, ist »menschlich, allzumenschlich«.

Kunst kann uns hinabziehen in jene Gefilde, die unser Denken verbannt hat. Sie führt uns an den Ungrund des rational Ausgeschiedenen und Tabuisierten und holt an die Oberfläche der Texturen und Strukturen, was wir lieber »unten« ließen.

Neun Künstler begleiten uns in blooming in the dark »hinab!« – nicht nur in den Keller der städtischen Peripherie, sondern auch in unser Souterrain, in die unbewussten, subjektiven Grenz- und Zwischenräume. Sie gestalten Arbeiten, die sich in die Ecken des urbanen und psychischen Raums einnisten, aus Decken, Nischen und Höhlungen wachsen.

»Unten«, im Keller lagern wir neben Dingen, die wir nicht preisgeben wollen und sorgfältig verpackt bewahren, auch Verdrängtes, Weggesperrtes. Von profanen Kartoffeln, die im Dunkeln vor dem Austreiben geschützt werden, über alte Kleidungsstücke, aus denen wir herausgewachsen sind, bis zu Möbeln, die in sorgloser, zufälliger Zusammenstellung eine lebendige Figuration ausbilden – das Entsorgte, Gelagerte, Verdrängte führt im Dunkeln sein Eigenleben: es wächst und gedeiht, geht Verbindungen ein, reagiert mit Anderem und erzeugt einmalige, unkalkulierbare Phänomene.

Die Objekte, Installationen und skulpturalen Gebilde arbeiten mit Nutz- und Zierpflanzen die spannungsvolle Wirkung von (Kunst-/Natur-) Licht und Dunkel heraus, indem sie beide als Faktoren des Blühens diskutieren. Sie konfigurieren dazu verbrauchtes und abgenutztes Verpackungsmaterial (Dosen, Milchtüten) und Möbel zu Refugien des Gedeihens und der ereignishafte Gestaltwerdung. Eine textile Skulptur, ebenso wie ein fragiles Nylon-Objekt
visualisieren eine rhizomatische Struktur, die sowohl stabil als auch zerbrechlich wirkt: transparent und undurchsichtig zugleich.

Von einer paradigmatisch rhizomorphen Struktur erzählen eine Projektion, Fundstücke, und eine Projektwebsite, die dazu einladen einen selbstregenerierenden, unterirdisch wachsenden Pilz zu erforschen. Fotografien loten das Verhältnis zwischen künstlichem Lichtkegel in dunklen Räumen und dem sie umgebenden Dunkel aus. Sie erinnern an Studien von Grund- und Urformen des Fossilen, so dass eine Kontrast-Spannung zwischen Künstlichem/Kultürlichem und Natürlichen an der Oberfläche des Zelluloids inszeniert wird.

Eine wüste Landschaft konstruiert einen Inter-Space zwischen Erbauung und Zerstörung, Wachsen und Verderben, indem sie konventionelle Formen aus Sand, Zement, Kies komponiert und dekomponiert. Die spärlich ausgeleuchtete Höhlung wirkt wie ein wiederentdeckter, verschütteter Ort, der Artefakte vergangener Kulturen bewahrte, und kommuniziert über den gesamten Kellerraum hinweg mit einer Ton/Gips-Plastik. Ein meditatives Video versetzt uns in die stille, unergründliche Tiefe des Meeres und regt uns zu einer kontemplativen Schau der eigenartig verlangsamten Bewegung einer Qualle an, deren uns amorph wirkender Körper sowohl fasziniert als auch irritiert. C

ollagen, die aus einer chemischen Reaktion aus Zelluloselack und Acrylentferner ungewohnte, zerebrale Formen und Symmetrien, sowie eigentümliche Schwarz-Weiß-Landschaften vor uns entstehen lassen, scheinen das Unbewusste in die zäh massige Faktur zu bannen. Sie erinnern sowohl an computertomographische Gehirnscans, die einen Einblick in unsere Inneres geben als auch an Rorschachtests, deren Formen assoziativ und spontan unsere inneren Einstellungen freilegen sollen.

Ein lebensgroßes Aluminiumpferd versetzt uns traumwandlerisch in die Phantasiewelt, die im Dunklen Blüten treibt.
Alle diese Arbeiten erzeugen durch ihre vielfältigen und unterschiedlichen Verfahren und Materialien paradoxale amorphe Strukturen. Ihnen wohnt ein Eigenleben inne: Sie treiben die Materialien aus sich heraus und lassen sie radikal organisch Wurzeln schlagen (so wie man bis heute noch Pilze im Schutz der Dunkelheit in Kellern züchtet).

Selbst das Artifiziellste, Synthetischste (Plastik, Aluminium, Zelluloid, Polyester, Zement) gewinnt morbide Lebendigkeit.
Wie Phänomene aus der Tiefe, aus dem kulturell Verdrängten steigen sie träumerisch hervor: Fossilien des Unbewussten, vergessene Bilder, Erinnerungen, Objekte, Phantasien und Wünsche, die wir in den Keller (unseres Bewusstseins) abgestellt haben, sprießen hervor und zeigen das in uns Gewachsene und still Genährte.

Diese Arbeiten sind Aus- und Freisetzung zugleich: Durch Wiederholungen und Variationen des vermeintlich Immer-Gleichen, durch montageartige Neukombinationen und Collagen setzen sie unsere üblichen Vorstellungen außer Kraft und konfrontieren uns mit neuen und ungewohnten Sehweisen.
Tektonische Schichtungen, Häufungen oder unkontrollierte Überwucherungen bringen Spannungsmomente an die Oberfläche. Gerade dadurch, dass sich die Arbeiten unserem Blick stellen, ihn aushalten und ihm widerstehen, fordern sie uns eine Achtsamkeit ab – eine befreiende Entschleunigung unseres sonst hastigen Umgangs mit den Dingen.

Filigrane, transparente Texturen fordern uns zum einfühlsam sehenden Umgang auf, der nicht automatisch begreifen will.

Zaghaft inszenierte Schlaglichter auf Objekte laden uns zum Suchen und zur geduldigen Betrachtung ein – und zur Akzeptanz dessen, dass wir nicht alles zu ergründen und zu fassen vermögen. Damit stellen sie uns einen Schutzraum bereit, der erlaubt, das (in) uns Verborgene spielerisch freizulegen, den Dingen frei zu begegnen und uns ihnen mimetisch anzunähern.

Andrea Sakoparnig
Philosophin

Konzept

Heute ist über dem historischen Keller ein modernes Wohnhaus errichtet. Mittelalterliche Gewölbe und in Schalenbau entstandene Betonsäulen und Decken bilden ein Labyrinth das den Besucher an einen Ort zwischen den Zeiten führt. Die Ausstellung ist eine Reaktion auf diesen versteckten und in Jahrhunderten gewachsenen Ort.

Im Keller sind die Dinge, die nicht immer gebraucht werden, die wir aufbewahren, reifen lassen oder noch nicht wegwerfen wollen. Es sind Lebensmittel, Werkzeuge, Schätze aber auch ungewollte Altlasten, die nicht jeder Gast sehen soll.
Blooming in the dark wird eine Ausstellung über Dinge sein, die im Dunkeln erblühen. Es gibt Pflanzen, die in der Nacht blühen, aber auch Träume entstehen in der Dunkelheit.

Die Geschichte des historischen Kellers

1464 – ca. 1735 Wohnhaus meist angesehener Patrizierfamilien, darunter mehrere Bürgermeister Spandaus (z.B. die Familien Hönow, Wartenberg, Bredow, Oppen, Neumeister)
1735 – 1797 Wohnsitz der hier stationierten königlichen Regimentskomandeure u.a. August Wilhelm, Prinz von Preußen und Friedrich, der Große
1797 – 1848 Gasthaus
1850 – 1879 königliches Kreisgericht
1879 – 1944 Amtsgericht
1944 teilweise Zerstörung
1950 Abriss der Ruine
1955 der Keller wird zugeschüttet und überbaut
1956 – 1968 „Forum Lichtspiel-Theater“
1968 – 1987 Lebensmittelmarkt
1987 Abriss des Kinogebäudes Wiederentdeckung der Kelleranlagen
1988 archäologische Auswertung,
Neubau eines Wohnhauses

About Ralf Salecker

Ralf Salecker, freier Fotograf und Journalist (www.salecker.info)