Die Kirschen in Nachbars Garten …

Spandauer Kindheits-Erinnerungen von Jörg Sonnabend 1945-49

Teil 11

Die Kirschen in Nachbars Garten: Franz Völker, Tenor Opernhaus Frankfurt a. M. mit Orchesterbegleitung  als Youtube-Video
Eine Schulaufführung mit Folgen …

Kirschen in Nachbars Garten ...
Kirschen in Nachbars Garten ...

Mit Turngeräten und Decken, die irgendwie jeder von zu Hause mitbrachte, bauten wir uns eine Bühne und ein Bühnenbild. Da wir auch noch andere Sachen für die Bühnendekoration besorgt hatten und wir ja immer noch in einer Zeit lebten wo jeder alles gebrauchen konnte, mussten wir die Turnhalle bewachen. Also beschlossen wir eine Nachtwache einzurichten. Abwechselnd sollten jeweils 3 Jungs, bis zur Aufführung, in der Turnhalle nächtigen und so unsere „Schätze“ bewachen. Die jeweiligen „Nachtwächter“ waren dann am nächsten Tag vom Unterricht befreit um sich auszuschlafen. Auch ich war einmal zu einer Nachtwache eingeteilt und da sich bei uns Langeweile einstellte hatte ich wieder einmal eine blendende Idee. Auf meinem Schulweg hatte ich beobachtet, dass sich in einem Garten in der Nähe des Südparks, gegenüber des ehemaligen Strandbades, ein Garten mit herrlich roten Kirschen befand.

Kurz entschlossen, sagte ich: “Jungs die Nacht wird langweilig und Hunger kriegen wir auch, wir holen uns Kirschen“! Zwei Mann zogen also los, einer musste ja als Wachposten vor Ort bleiben. Als Behälter nahmen wir eine Aktentasche mit, die zwischen den Theaterutensilien lag. Der Gartenzaun war für uns kein Hindernis, wir also rüber und die Aktentasche mit Kirschen gefüllt. Auf einmal fing in ziemlicher Nähe ein Hund gefährlich an zu bellen. Wir runter vom Baum, über den Zaun und zurück zur Schule. In der Turnhalle stellten wir mit Schrecken fest, wir haben die Aktentasche im Garten vergessen. Unser Schreck wurde noch größer, als jemand feststellte dass die Tasche unserem Lehrer gehörte. Zwei Mann mussten also nochmals losziehen um die Tasche zu holen.

Ich war Gott sei Dank nicht dabei, so mutig war ich nun auch wieder nicht. Es lief aber alles glatt, der Hund hatte sich scheinbar verzogen, die Jungs kamen mit Tasche und Kirschen zurück und wir spuckten für den Rest der Nacht Kirschkerne auf den Schulhof. Dieses Ereignis war für mich so prägend, dass ich mich noch heute gern daran erinnere. Die Theateraufführung war übrigens ein voller Erfolg, wir mussten das Stück im Beisein des Schulrates noch ein zweites Mal aufführen.

Das Jahr 48 wurde ansonsten weiter vom Mangel an Versorgungsgütern beherrscht. Die Flugzeuge der Luftbrücke zogen zwar weiter alle 2 bis 3 Minuten über unseren Köpfen hinweg, aber sie konnten uns nur mit dem Allernötigsten versorgen. Satt essen war immer noch nicht angesagt, es musste weiter improvisiert werden. Wir hatten jetzt die „harte D-Mark“ konnten aber noch nicht allzu viel damit anfangen. Es wurden zwar Waren auf irgendwelchen Wegen nach Berlin geschmuggelt, die man dann unter der Hand zu halbwegs normalen Preisen kaufen konnte, aber das war die Ausnahme.

Mein Vater z.B. trank für sein Leben gern Kaffee und er versuchte auch in den Mangeljahren immer wieder „echten“ Kaffee zu bekommen. Während der Blockade 1948 gab es also einige verschwiegene Geschäfte in denen man gegen D-Mark Kaffee in 50 oder 100 g Tüten kaufen konnte. Auf solchen verschlungenen Wegen bin ich 1948 endlich auch an neue Fahrradbereifung gekommen, hier hatte meine Mutter über die Lanke-Werft ihre Beziehungen spielen lassen.

Die Westalliierten und hier besonders die Amerikaner und Briten, haben in diesen schweren Nachkriegsjahren immer besonders viel für Kinder und Jugendliche getan. So haben die Engländer schon 1945 für den Britischen-Sektor die „Aktion.Storch“ ins Leben gerufen. Mit dieser Aktion wurden Berliner Schulkinder, um der Berliner Trümmerlandschaft zu entgehen, für ein Jahr auf Bauernhöfe in Ostfriesland untergebracht. Die Teilnahme war natürlich freiwillig und kostenlos. Der Transport wurde von den Engländern organisiert. Ich habe an dieser Aktion nicht teilgenommen, da ich erst 1944 im Rahmen der damaligen sog. „Kinderlandverschickung“ sieben Monate in der Slowakei zugebracht habe.

Jörg Sonnabend

Ende von Teil 11

 

Kindheitserinnerungen von Jörg Sonnabend 1945 bis 1949

  1. Der Krieg war zu Ende. Aber die Leiden und Entbehrungen sollten für uns erst beginnen.
    Spandauer Kindheits-Erinnerungen von Jörg Sonnabend 1945-49 – Teil 1
  2. Ein Abenteuerlicher Schulweg in der Spandauer Nachkriegszeit
    Spandauer Kindheits-Erinnerungen von Jörg Sonnabend 1945-49 – Teil 2
  3. Lebensmittelversorgung der Bevölkerung nach Kriegsende
    Spandauer Kindheits-Erinnerungen von Jörg Sonnabend 1945-49 – Teil 3
  4. Schlusengeld – 1000 Reichsmark für ein Fahrrad
    Spandauer Kindheits-Erinnerungen von Jörg Sonnabend 1945-49 – Teil 4
  5. Sicher stellen von Heizmaterial und Nahrungsbeschaffung nach Indianer-Art
    Spandauer Kindheits-Erinnerungen von Jörg Sonnabend 1945-49 – Teil 5
  6. Schwarzmarkt und Wintervergnügen in Spandau
    Spandauer Kindheits-Erinnerungen von Jörg Sonnabend 1945-49 – Teil 6
  7. Zwischen grenzenloser Freiheit und Schuldisziplin
    Spandauer Kindheits-Erinnerungen von Jörg Sonnabend 1945-49 – Teil 7

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