Erinnerungen an die Scharfe Lanke und Umgebung

Schulweg – Aus den Jugendtagen eines Spandauers

Wir hatten, seit 1939, auf der Lanke-Werft eine Werkwohnung. zu diesem Zeitpunkt war ich 5 Jahre alt und meine Mutter arbeitete auf der Werft als Buchhalterin. Was die wenigsten Spandauer wissen, die Lanke-Werft hieß zu diesem Zeitpunkt noch „Naglo-Werft“. Der Besitzer der Lanke-Werft war Herr Hugo Reinicke, es war der Großvater des heutigen Besitzers der „Marina-Lanke-Werft“ (Scharfe-Lanke 109-131). Für uns Kinder war die Umgebung ein Spielparadies.

Wir hatten überall Zugang zum Wasser, vor uns die Haveldüne und links (im Anschluss an den Segelverein SVUH den Hissing-Wald, wie wir ihn nannten. Die Haveldüne war noch ein reiner Sandberg und nicht so begrünt wie heute. Der Wald, durch den heute die Uferpromenade nach Gatow führt, war Privatgelände und eingezäunt. Ich brauch wohl nicht zu betonen, dass Zäune für uns damals keine Hindernisse waren. Dort befindet sich ja auch der Jaczo-Turm, der uns immer wieder magisch anzog.

Überhaupt befand sich die Haveldüne damals noch in einem ursprünglichen Zustand. Die parkähnliche Anlage, die wir heute sehen, wurde erst in den sechziger Jahren angelegt. Es führten zwar schon steinerne Treppen hinauf zur Weinmeisterhöhe, aber diese Treppen waren schmaler und steiler sodass wir noch genügend Platz für unsere Rodelbahnen hatten.

1940 wurde ich eingeschult und der Schulweg, der für uns Kinder sich ca. 1 Stunde hinzog gestaltete sich immer sehr abenteuerlich. Unsere Schule war die 21. Volksschule in der Konkordiastraße am Földerich-Platz. Auf dem Gelände der heutigen Christoph-Földerich-Schule befanden sich nämlich 3 Schulen: die 5. Volksschule, die 21. Volksschule und die 12. Volksschule, wobei die 12. eine Mädchenschule war (so was gab es noch bis 1950).

Zurück zu unserem Schulweg: er führte uns von der Lanke-Werft, vorbei am Wassersportheim Blau-Rot (damaliger Besitzer war Otto Schiemann) und vorbei am Gartenlokal Richard Roske.

Weiter lag auf unserem Schulweg der Grundbesitzer-Verein Weinmeisterhorn, die Bootstände Hinz, 3 Rudervereine ( Arcona-Normania, Helvetia und Titania), der ASV (Akademischer Seglerverein), der Spandauer-Yacht-Club und die Reinicke-Werft.

Die Scharfe-Lanke, von der wir hinter der Reinicke-Werft rechts abbogen um durch die Kolonie-Bocksfelde zum Südpark zu gelangen, war damals noch nicht gepflastert und verwandelte sich, besonders im unteren Teil, nach einem Regen immer in eine Schlammwüste.

Die Uferpromenade in Bocksfelde war in damaliger Zeit noch vom Wasser, durch kleine eingezäunte Grundstücke mit Steganlage, getrennt. Nach durchqueren von Bocksfelde, übrigens gab zu dieser Zeit dort noch einen Lebensmittelladen, einen Fischer und einen Frisör, gelangten wir über die Heerstraße in den Südpark.

Wenn ich immer schreibe „wir“, so meine ich unsere ganze Clique, denn allein sind wir selten oder gar nicht gegangen. Im Alter differierten wir so um die 2 bis 3 Jahre. Horst, Heinz, Bruno, Peter oder Ernst, wir waren eine verschworene Gemeinschaft, die auch die diversen „Dummheiten usw.“ gemeinsam ausheckten.

Auf dem Schulweg gab es genug Gelegenheit dazu. Wir überquerten die Heerstraße in Höhe der Jaczostraße, heute befindet dort ein Wohnhochhaus. In der Kriegs und Nachkriegszeit befanden sich dort zwei vergammelte Tennisplätze. Rechts davon, quasi am Anfang der Bocksfeldstraße, lag das große Gartenlokal die „Börnicker-Hütte“, im Kriege natürlich geschlossen und später von Bomben zerstört.

Das letzte Stück unseres Schulweges führte uns durch den Südpark, für uns ein Abenteuerspielplatz. Es gab noch im Kriege dort einen Parkwächter, von uns respektlos „Paddenpieps“ genannt. Wir ließen auch keine Gelegenheit aus diesen Mann zu ärgern. Schon das Betreten des Rasens war damals noch verboten. Auch der Südparkteich bot vielerlei Gelegenheit den Schulweg zu verzögern, z. B. an den Trauerweiden „Tarzan“ spielen oder im Winter mit der Schulmappe als Unterlage auf dem Eis schlittern. In Höhe des ehemaligen Strandbades Südpark in der „Straße am Südpark“ verließen wir den Park und hatten unsere Schule fast erreicht.

Erwähnen möchte ich noch die legendäre bronzene Pferdegruppe des Südparkes. Sie befand sich am Ende des Parkes, kurz vor dem Strandbad. Auf alten Abbildungen kann man sie heute noch bewundern. Leider ist sie der Materialknappheit des Krieges zum Opfer gefallen. Diese Schilderung hört sich eigentlich ganz friedlich an, aber wir sollten nicht vergessen: Es war Krieg. Und dieser Krieg hatte unsere friedliche Gegend 1941 mit vereinzelten Bomber Überflügen auch erreicht.

Zu dieser Zeit war das für uns noch alles ein großes Abenteuer. Flugzeuge kamen noch wenige und nur einzeln. Man konnte noch beobachten wie die Lichtkegel der Flak-Scheinwerfer die Flugzeuge erfassten und sie von der Flak beschossen und auch getroffen wurden. An den ersten großen Fliegerangriff an den ich mich erinnern kann, war der 1. März 1942.

Einen Luftschutzbunker gab es noch nicht und der Luftschutzkeller war noch nicht hergerichtet. Die Bewohner der 4 Werkwohnungen der Lanke-Werft versammelten sich alle in einem Raum und hofften, dass alles daneben fällt. Diesem Angriff, der überwiegend mit sogenannten „Stabbrandbomben“ geführt wurde fielen 2 Häuser an der der Scharfen Lanke zum Opfer. Der Rest der Bomben fiel in den Sand der Haveldüne oder in die Havel.

Es sollte aber alles noch heftiger werden. Wie ich bereits erwähnte war die Lanke-Werft ein Rüstungsbetrieb, es wurden dort Pinassen für die Kriegsmarine und später auch Sprengboote gebaut. Dementsprechend wurden wir auch immer wieder „beharkt“, wie man sagte.

Hinzu kam, dass auf der Weinmeisterhöhe, direkt auf der Haveldüne eine Scheinwerferstellung gebaut wurde. Sie bestand aus einem Flak-Scheinwerfer, ein Horchgerät, eine MG-Stellung zur Abwehr von Tieffliegern und einer Mannschaftsbaracke.

Zum technischen Verständnis: zu einer Scheinwerferstellung gehörte auch immer eine Flak-Batterie. Diese Flak-Stellung befand sich am Gut Karolinenhöhe, in der Nähe der Potsdamer-Hausse. Man konnte das Explosionsgeräusch der 8,8 Flak, ein hoch frequenter Ton, von den dumpfen Tönen der Bombeneinschläge genau unterscheiden. (Einen Flak-Scheinwerfer und eine 8,8 kann man noch im Luftwaffenmuseum Gatow besichtigen).

Unser Schulweg, und die Schule ging trotz Krieg unbeirrt weiter, bekam eine andere Qualität. Ausgebrannte Häuser, niedergebrannte Lauben und bizarre Bombentrichter waren schon interessant. Bedauert haben wir nur, dass die Schule nie getroffen wurde. Aber unser neues Hobby hieß „Granatsplitter sammeln“, und nach nächtlichen Angriffen fanden wir viele, was unseren Schulweg beträchtlich verlängerte. In der Schule wurden die größten Exemplare begutachtet.

Aber zurück zur Lanke-Werft. Unser provisorischer Luftschutzkeller war fertig, hier erlebten wir auch den Einschlag einer Luftmine auf dem Werftgelände. Ich erinnere mich an ein unbeschreibliches Grollen, pfeifen, prasseln, Licht aus und viel Staub. Alles innerhalb von Sekunden. Die Mine hatte keine Halle oder Haus getroffen sondern ging mitten auf dem Werftgelände nieder.

Trotz erheblicher Beschädigungen ging der Werftbetrieb nach kurzer Zeit weiter. Dank „unserer“ Holländer und Franzosen, die Brände immer wieder löschten. Hierzu muss ich sagen, dass auf der Werft während des Krieges ca. 40 Holländer und 4 Franzosen arbeiteten. Ich kann aber nicht sagen ob die hier freiwillig 1 gearbeitet haben? Die Franzosen hatten ihr Quartier auf der Werft und die Holländer wohnten im Tanzsaal des Gartenlokales „Roske“. Wir Kinder hatten zu beiden guten Kontakt. Von den Holländern bekamen wir immer Briefmarken und wir versuchten Holländische Zeitungen zu lesen. 1944 wurde in den Sandberg der Haveldüne, gegenüber dem Werfteingang, ein Luftschutzbunker gebaut.

Dicke Eichenbalken und eine Sanddecke von 4 bis 5 m, machte ihn quasi Bombensicher. Der Bunker hatte 2 Eingänge, die rechte Hälfte war für die Werftarbeiter (auch für die Holländer und Franzosen) und die linke Hälfte für die zivilen Bewohner. In diesem Bunker erlebten wir auch die Endkämpfe des Krieges und den Einmarsch der Russen.

Aber dieses Thema, wie Kriegsende, Besetzung und Not der Nachkriegszeit wäre ein weiterer Bericht…

Jörg Sonnabend

Anmerkung der Redaktion von Unterwegs in Spandau:

1) Zwangsarbeiter in Spandau:

Allein in Spandau waren während des Krieges 40000 Zwangsarbeiter „beschäftigt“.

Eine Gedenkfeier des Vereins „Zwangsarbeit erinnern“ findet am 8.Mai 2009 in der Pichelswerder Straße 9 statt.

Eine wahrscheinlich sehr unvollständige Liste Berliner Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigten ist unter folgendem LINK zu finden.

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