Spandauer Rieselfelder Karolinenhöhe – 100 Jahre Bodenbelastung

Die Berliner Wasserbetriebe entledigen sich ihrer Verantwortung

Rieselfelder Spandau: Foto Ralf Salecker; www.unterwegs-in-spandau.de
Rieselfelder Spandau: Foto Ralf Salecker; www.unterwegs-in-spandau.de

In den Jahren 1896 bis 1905 begann die Nutzung der Rieselfelder in Spandau. Das städtische Abwasser wurde rund 100 Jahre lang unbehandelt direkt auf den Flächen der Rieselfelder Karolinenhöhe verrieselt. Jeder kann sich vorstellen, dass im Laufe der Zeit eine enorme Schadstoffmenge zusammenkam.

Es verwundert also nicht, dass Rieselfelder folglich altlastverdächtige Flächen (Altstandorte) gem. § 2 Abs. 6 BBodSchG (Bundes-Bodenschutzgesetz) sind. Enorme Schwierigkeiten bereitet es, eine Aussage darüber zu treffen, wie mobil die eingebrachten Schadstoffe sind und wann eine konkrete Gefährdung zu erwarten ist. Chemische und physikalische Parameter sind von Ort zu Ort verschieden. Allgemeingültige Aussagen können kaum getroffen werden. Eine theoretisch notwendige Dekontamination ist finanziell nicht zu stemmen. Für solche Fälle wurde nie Vorsorge getroffen.

Rieselfelder Spandau: Foto Ralf Salecker; www.unterwegs-in-spandau.de
Rieselfelder Spandau: Foto Ralf Salecker; www.unterwegs-in-spandau.de

Die Berliner Wasserbetriebe entledigen sich des Problems einer umweltverträglichen Nachnutzung und eines verantwortlichen Umgangs mit belasteten Böden durch einen Verkauf der Gatower Rieselfelder. Ob der mögliche Käufer sich der Problematik und Folgekosten bewusst ist? Bisher ist die Angst vor einer Bebauung unbegründet, schließlich handelt es sich bei dem Gelände, welches drei Prozent der Fläche Spandaus ausmacht, seit 1987 um Landschaftsschutzgebiet.

Die Flächen der ehemaligen Rieselfelder Karolinenhöhe in Gatow sind in ihrem überwiegenden Teil als Landschaftsschutzgebiet festgesetzt. Der Flächennutzungsplan stellt für diese Flächen im Wesentlichen Ver- und Entsorgungs-fläche mit landwirtschaftlicher Nutzung mit der Zweckbestimmung für Abfall/Abwasser dar. Der Baunutzungsplan weist die ehemaligen Rieselfelder als „Nichtbaugebiet“ aus. Bebauungspläne wurden bisher nicht festgesetzt. (Antwort der Senatsverwaltung Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz auf eine kleine Anfrage von Daniel Buchholz)

Das Ende der Berieselung und ihre Folgen

Rieselfelder Spandau: Foto Ralf Salecker; www.unterwegs-in-spandau.de
Rieselfelder Spandau: Foto Ralf Salecker; www.unterwegs-in-spandau.de

Die Berieselung der Flächen in Spandau wurde in Teilschritten eingestellt. 1994 endete die Abwasserverrieselung, 1997 die Mischwasserverrieselung. Dabei ist Abwasser das durch häuslichen, gewerblichen, landwirtschaftlichen oder sonstigen Gebrauch in seinen Eigenschaften veränderte Wasser und Mischwasser die Folge der Vermischung mit Regenwasser.

Von 2002 bis 2010 wurde nur noch Klarwasser, also vorgereinigtes Abwasser auf den Rieselfeldern im Spandauer Ortsteil Gatow verrieselt. Pro Jahr waren dies durchschnittlich 1,2 Millionen Kubikmeter. Grundwasserschutzgründe wurden angeführt, um das Aufbringen von Klarwasser zu verbieten.

Verwunderung ruft in diesem Zusammenhang ein Text auf den Seiten der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt hervor:

Auf dem Berliner Teil des Rieselfelds Karolinenhöhe wurden 1990 etwa 0,9 Mio. m³ mechanischbiologisch gereinigtes Abwasser aus dem Klärwerk Ruhleben sowie weitere 1,7 Mio. m³ vor Ort mechanisch gereinigtes Abwasser versickert. Vorrangiges Ziel der Beschickung ist die andauernde Immobilisierung (!) der im Boden angereicherten Nähr- und Schadstoffe sowie die Grundwasseranreicherung. Nach der Fertigstellung der technischen Voraussetzungen wird nur noch im Klärwerk Ruhleben mechanisch-biologisch gereinigtes Abwasser aufgebracht werden. Angestrebt wird eine Kapazität von 11,0 Mio. m³/Jahr. Gleichzeitig werden die Flächen als Havarieflächen für einen eventuellen Klärwerksausfall freigehalten. Insgesamt soll der Bereich als Erholungsraum entwickelt werden. Hierzu zählt auch die Umwandlung geeigneter Rieselfeldflächen in Feuchtbiotope.

Ein wenig Literatur und Forschung zum Thema Rieselfelder

Rieselfelder Spandau (Foto Ralf Salecker; www.unterwegs-in-spandau.de)
Rieselfelder Spandau (Foto Ralf Salecker; www.unterwegs-in-spandau.de)

Im Jahr 2001 verfasste Irena Savric eine Dissertation zum Thema „Einflussfaktoren auf die Bindung und Mobilität organischer und anorganischer Stoffe in kontaminierten Rieselfeldböden“. Die Arbeit hatte das Ziel, den Wissensstand in Bezug auf Einflussfaktoren, die die Mobilität und Bindung von Schadstoffen im Boden steuern, zu erweitern.

Verglichen (im Labor mit kleintechnischen Säulenversuchsanlagen) wurden in dieser Arbeit das stark destabilisierte und versauerte Feld Buch-Hobrechtsfelde (Buch) und das relativ stabile Feld Karolinenhöhe (Gatow): „Auf Grund der anhaltenden Klarwasserverrieselung befindet sich das Rieselfeld Gatow im Gegensatz zum Rieselfeld Buch in einem relativ stabilen Zustand. Versauerung und eine dadurch bedingte massive Schwermetallverlagerung werden nicht beobachtet.“ … „Die gegenläufigen Effekte z.B. des pH-Wertes auf Schwermetalle und organische Komponenten zeigen, dass optimierte Bewirtschaftungskonzepte zum Schutz des Grundwassers nicht für alle Schadstoffe gleichermaßen erreicht werden können.“

Fazit: Es gibt leider keine vollständig befriedigende Lösung der Schadstoffproblematik, wenn man Schwermetalle und organische Schadstoffe gleichermaßen in den Griff bekommen will.

Ein paar Daten zum Berliner Abwassersystem

Berlins Abwassersystem (Stand 2008) teilt sich in ein Mischwassersystem (ein Viertel) und ein Trennwassersystem (drei Viertel). In letzterem fließen normales Abwasser und Regenwasser in getrennten Kanälen. Das Berliner Abwasserkanalnetz hat eine Länge von 9360 Kilometern. Es besteht aus 4.178 km Schmutzwasser-, 1.902 km Mischwasser-, 3.212 km Regenwasserkanälen.

Das Mischwassersystem entpuppt sich an starken Regentagen als großes Problem. Dann kommt in kürzester Zeit mehr Wasser zusammen, als die Kanäle fassen können. In der Folge laufen sie über. Der gesamte Bereich der Spandauer Altstadt wird über ein Mischwassersystem entsorgt, während der Rest des Bezirkes größtenteils schon über ein Trennwassersystem verfügt. Im Bereich der Altstadt, also fast am Anfang der Unterhavel, gibt es den einzigen Notüberlauf auf Berliner Gebiet, der direkt in die Havel mündet – mit entsprechenden Folgen, wenn es mal stark regnet.

Die Größenordnung der tagtäglich durchschnittlich zu reinigende Abwassermenge ist kaum vorstellbar groß. Es sind 645.000 Kubikmeter täglich (Stand 2008). Innerhalb einer Woche könnte man mit dieser Wassermenge den Wannsee füllen.

Kleine Anfrage zu den Rieselfeldern Karolinenhöhe aus dem Jahr 2011

Im August 2011 stellte der Abgeordneten Daniel Buchholz (SPD) eine kleine Anfrage im Berliner Abgeordnetenhaus, um zu erfahren, welchen Einfluss das Ende der Verrieselung auf den Gatower Rieselfeldern Karolinenhöhe auf Naherholung, landwirtschaftliche Nutzungen und den Schutz der Landschaft hat.

Auszugsweise ist eine Frage interessant, bei der es um die Bodenbelastung der Rieselfelder ging. Daraus ergab sich eine Forderung an die Berliner Wasserbetriebe, „die Flächen anhand der Vorgaben der Bundes-Bodenschutzverordnung (BbodSchV) zu überprüfen. Diese sieht Bodenuntersuchungen für die relevanten Tiefen (Ackerbau: 0 – 30 und 30 – 60 cm, Grünland: 0 – 10 und 10 – 30 cm) auf die einschlägigen Parameter vor.“

Das Ergebnis dürfte für alle sehr aufschlussreich sein!

Zur Bedeutung der Spandauer Rieselfelder

Das Areal der ehemaligen Rieselfelder weist einen mittleren bis hohen Kaltluftvolumenstrom auf, der in die südliche Wilhelmstadt bis ca. zur Heerstraße wirkt und damit eine Verbindung zu den Kaltluftentstehungsgebieten des Umlands darstellt. Das Gebiet der ehemaligen Rieselfelder hat eine mittlere bis hohe stadtklimatische Bedeutung für die angrenzenden Siedlungsgebiete, was dadurch zum Ausdruck kommt, dass diese Siedlungsgebiete sehr günstig bezüglich ihrer bioklimatischen Situation sind.

Für zukünftige Planungen gerade auch in Hinblick auf den Klimawandel kommt dem Gebiet der ehemaligen Rieselfelder eine hohe Empfindlichkeit gegenüber Nutzungsintensivierungen und möglicher Einschränkung des Luftaustausches mit der Umgebung zu.

Weitere Fragen und Antworten aus der kleinen Anfrage

10. Zu welchem Ergebnis kommt der Senat hinsichtlich der Vor- und Nachteile einer fortgeführten Bewässerung der betreffenden Rieselfeldflächen? Befördert oder bremst eine Bewässerung den Schadstofftransport, hat sie positive Auswirkungen auf den Grundwasserkörper oder verursacht eine Einstellung Boden- und damit Schadstoffverwehungen bei Austrocknung? Welchen Einfluss hat diese Fragestellung auf die künftige Nutzungsgestaltung?

11. Welche Gefahr sieht der Senat bei vollständiger Verrieselungseinstellung in Bezug auf eine mögliche Landschaftsversteppung durch beschleunigte Wasserabführung in Auffanggräben und Drainagen?

12. Wie bewertet der Senat die Auswirkungen der vollständigen Verrieselungseinstellung hinsichtlich zunehmender Bodentrockenheit oder Ernteausfällen insbesondere in Bezug auf die Möglichkeit eines wirtschaftlichen Betriebes für die landwirtschaftlichen Pachtbetriebe?

14. Welches Konzept für eine Nachnutzung der betreffenden Flächen favorisiert der Senat und inwieweit sind Landes- und Bezirksbehörden, der Landschaftsverband Gatow und weitere aktive Bürgerinnen und Bürger in die Planung einbezogen?

Zu 10., 11., 12. und 14.: Derzeit wird, von den Berliner Wasserbetrieben beauftragt, ein „Nachnutzungskonzept für das Rieselfeld Karolinenhöhe“ erarbeitet, in dem eine umfassende Abwägung der Gesamtinteressen gegenüber übergeordneten Nutzungszielen und Schutzgütern vorgesehen ist. Im Einzelnen sind zwei Fachbüros und die Humboldt-Universität zu folgenden drei Themenblöcken beauftragt:

  • Teil I: Gefährdungsabschätzung und landwirtschaftliche Nutzungsmöglichkeiten
  • Teil II: Landschaftsschutz und integrative Gesamtplanung
  • Teil III: Wasserwirtschaftliche Rahmenbedingungen.

Ein Abschluss der Untersuchungen ist im Februar 2012 geplant. Erst nach Vorliegen und Auswertung des Konzepts sind dem Senat Aussagen zu den Fragestellungen möglich. 

Das Nachnutzungskonzept steht anscheinend immer noch aus … und wird wohl von den Wasserbetrieben nicht mehr kommen …

 

Ralf Salecker

Verwandte Texte

 

 

About Ralf Salecker

Ralf Salecker, freier Fotograf und Journalist (www.salecker.info)