Ein durchaus subjektiver Blick auf einen Samstag in der Wilhelmstadt
Am Samstag fand im Seniorenklub am Südpark in der Spandauer Wilhelmstadt eine lokale Mitgliederversammlung der extrem rechten „Bürgerbewegung Pro-Deutschland“ statt, für die bundesweit geworben wurde. Drei Gruppierungen hatten Gegenveranstaltungen angekündigt.
Der Seniorenklub ist normalerweise ein Ort der Ruhe, wenn nicht gerade eine Party von den Senioren vor Ort gefeiert wird. Den regulären Nutzern war an diesem Tag nicht zum Feiern zumute. Die „Bürgerbewegung Pro-Deutschland“ plante bezeichnenderweise genau in den Wochen gegen Rassismus und Intoleranz plante ihre Mitgliederversammlung in Spandau. Deren „Schwesterorganisation“ „Pro-Köln“ steht seit Jahren unter Beobachtung des Verfassungsschutzes, weil ein begründeter Verdacht vorliegt, dass diese sich nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewegt.
Ein Versuch des Bezirksamtes Spandau, die Genehmigung zur Nutzung zu entziehen, scheiterte schließlich auch vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Diese Entscheidung des Gerichts muss uns nicht gefallen, wir haben sie aber zu respektieren. Solange eine Partei als solche zugelassen ist, gelten für sie die gleichen Rechte wie für alle anderen – aber auch die gleichen Pflichten. Sollte sie diese verletzen, so ist dies zu ahnden – auch mit der Verweigerung, Räume nutzen zu dürfen, wie es anderswo schon erfolgreich geschehen ist.
Die Berichte zu der geplanten Veranstaltung hielten sich vorher in Grenzen. Man wollte nicht ungewollt Werbung für eine rechte Veranstaltung machen. Als klar wurde, dass die Versammlung im Seniorenklub am Südpark in der Wilhelmstadt mit großer Wahrscheinlichkeit durchgeführt werden darf, wollten viele zeigen, wie sehr sie die propagierten politischen Inhalte von PD ablehnen. Vertreter aus der Kichengemeinde, mit einer Mahnwache, das Bündnis gegen Rechts und DIE LINKE meldeten Gegenveranstaltungen an.
Spandauer gegen rechtes Gedankengut
Die angereisten Vertreter von Pro-Deutschland waren anscheinend recht überrascht vom lautstarken Unwillen der Spandauer. Rund 120 Menschen hatten sich vor dem Seniorenklub in der Spandauer Wilhelmstadt versammelt. Der Zaun des Seniorenklubs war mit Transparenten geschmückt, die den ungebetenen Gästen die politisch-moralische Grenze aufzeigten.
„Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus haben in unserem Betrieb keinen Platz!
Wir tolerieren keine diskriminierenden Äußerungen oder körperlichen Angriffe, zum Beispiel wegen Hautfarbe, Religion, Nationalität oder sexueller Orientierung!
Wir stehen für Gleichberechtigung und Achtung der Menschenwürde ein!“
Schon gegen 14 Uhr, also deutlich vor Beginn der „Mitgliederversammlung“ füllte sich das Umfeld des Seniorenklubs mit Menschen jeglichen Alters. In manchen Medien war von 200 „Demonstranten“ für Toleranz und gegen Rassismus die Rede. Diese Zahl dürfte etwas übertrieben sein, was ebenso für die angeblich 70 Teilnehmer der PD-Veranstaltung gelten dürfte. Vergleicht man den (bundesweiten) Aufwand und schließlich erzielten regionalen Nutzen in Spandau, dann war der „Erfolg“ eher dürftig.
Ein umfangreiches Polizeiaufgebot sollte von Anfang an mögliche Konfrontationen vermeiden. Aus diesem Grund wurden Senioren auf der einen Seite der Straße platziert und LINKE sowie das Bündnis gegen Rechts auf der anderen. Es wurde befürchtet, die Senioren könnten bei einer Konfrontation zu Schaden kommen.
Einige Senioren hatten sich die Antrittsrede des neuen Bundespräsidenten Joachim Gauck zu Herzen genommen, in der er explizit auf den Rechtsextremismus einging:
Ängste, so hab ich es gelernt in einem langen Leben, Ängste vermindern unsern Mut wie unser Selbstvertrauen – und manchmal so entscheidend, dass wir beides ganz und gar verlieren können, bis wir gar Feigheit für Tugend halten und Flucht für eine legitime Haltung im politischen Raum. …
In „unserem Land“ sollen auch alle zu Hause sein können, die hier leben. Wir leben inzwischen in einem Staat, in dem neben die ganz selbstverständliche deutschsprachige und christliche Tradition Religionen wie der Islam getreten sind …
Aber in Fragen des Zusammenlebens dürfen wir uns eben nicht letztlich von Ängsten, Ressentiments und negativen Projektionen leiten lassen. …
Unsere Verfassung, meine Damen und Herren, spricht allen Menschen dieselbe Würde zu, ungeachtet dessen, woher sie kommen, woran sie glauben oder welche Sprache sie sprechen. …
Wir lassen uns unsere Demokratie nicht wegnehmen. Wir stehen zu diesem Land. Wir stehen zu diesem Land, nicht weil es so vollkommen ist, sondern weil wir nie zuvor ein besseres gesehen haben. Und speziell zu unseren rechtsextremen Verächtern der Demokratie sagen wir in aller Deutlichkeit: Euer Hass ist unser Ansporn. Wir lassen unser Land nicht im Stich. Wir schenken euch auch nicht unsere Angst. Ihr werdet Vergangenheit sein und unsere Demokratie wird leben. …
Nazis raus!
Dieser Ruf erschallte immer wieder während der gesamten Veranstaltung. Absperrgitter sollten den Gästen der PD-Veranstaltung einen ungehinderten Zugang ermöglichen. Dieser Weg wurde eher zum akustischen Spießrutenlauf.
Eine Sprecherin der LINKEN wünschte sich lautstark ein Verbot von „Pro-Deutschland“. Ein möglicherweise nachvollziehbarer, aber wenig realistischer oder sinnvoller Wunsch. Ausschließlich inhaltliche Auseinandersetzungen haben eine Chance, Veränderungen zu bewirken. Das braucht Geduld und Zeit.
Wo bleiben die Spandauer Politiker?
„Ich hätte nie gedacht, dass ich in meinem Alter einmal gegen Nazis demonstrieren müsste“, bekundete traurig eine Seniorin. Eine andere, die gleich am Anfang in „ihren“ Seniorenklub wollte, wurde von anderen zurückgebeten. „Wir dürfen heute nicht in unser Haus“, kam die Begründung. „Aber einer muss doch zeigen, dass wir DIE hier nicht wollen“, wurde geantwortet.
Die engagierte Teilnahme, gerade der älteren Spandauer, hat viele sehr überrascht. Es hätten noch erheblich mehr sein können. Die Angst vor Repressalien durch PD war dann für einige doch zu groß.
Gerade die älteren unter den „Demonstranten“ zeigten sich vom Fehlen der Spandauer Politiker sehr enttäuscht. Manch einer fühlte sich gar „alleine gelassen“. In Diskussionen wurde das Für und Wider einer solchen Teilnahme abgewogen. Ein durchaus nachvollziehbares Argument war die Überlegung, die Veranstaltung von PD durch die Anwesenheit der Politiker aufzuwerten, frei nach dem Motto, „viel Feind, viel Ehr“.
Einige kamen dann aber doch. Der Vorsteher der BVV, Piraten, ein Stadtrat waren dann doch recht früh zur Stelle. Die SPD hatte zur gleichen Zeit ihre Kreisdelegiertenversammlung mit wichtigen Wahlen. So kamen sie erst viel später hinzu. Schaute man sich das Meer der Fahnen an, hätte der Eindruck entstehen können, die Gegenveranstaltung würde hauptsächlich von der LINKEN dominiert, wenn nicht auch die Piraten Flagge gezeigt hätten. Grüne? Fehlanzeige!
Morgen seid ihr alle auf Facebook!
Ein junger Spandauer Pirat hatte die Methoden der rechten Szene am eigenen Leib erfahren dürfen. Er hatte zu einer Gegenveranstaltung aufgerufen. Prompt landeten seine persönlichen Kontaktdaten auf einer rechten Internetplattform.
Einen Tag vor der Veranstaltung durchsuchte die Berliner Polizei mehrere Räume der NDP. Sie wollte den Betreiber einer illegalen rechten Internetseite ermitteln, auf der rund 100 politische Gegner, mitsamt ihren Kontaktdaten zu finden waren. Einige der dort aufgelisteten Bürger hatten Übergriffe gegen ihr Eigentum und ihre körperliche Unversehrtheit zu beklagen. Berlins Innensenator Frank Henkel erklärte dazu, solche Einschüchterungsversuche würden nicht tatenlos hingenommen.
Die Mahnwache des Evangelischen Kirchenkreises gegen Rassismus, Intoleranz und Anti-Islamismus sowie die Senioren, die „ihren“ Seniorenklub „verteidigen“ wollten, wurden von einem Fotografen der Veranstalter fotografiert. Einigen wurde anscheinend angekündigt „morgen seid ihr alle auf Facebook“ …
Nachschau
„Pro-Deutschland“ nutzt effizient das Internet für die eigene Propaganda. Bilder und ein Video von der Veranstaltung waren am nächsten Tag auf unterschiedlichen Internetplattformen zu sehen. Vielsagend sind die jeweiligen Kommentare zu einzelnen Bildern, die ein völlig anderes Bild der Wirklichkeit zeigen wollen.
Politische Gegner werden dabei vereinfachend dem linksextremistischen Milieu zugeordnet. Unwahrheiten sollen den eigenen Standpunkt stärken. Zufällig nebeneinander stehende Personen werden in einen inhaltlichen Zusammenhang gebracht und „lautmalerische Aussagen“ auf der Kleidung gleich passend gedeutet.
Leider haben Äußerungen und Auftreten manch eines LINKEN „Futter für die Kamera“ geliefert, um unterstellen zu können, ein scheinbar alkoholisierter Haufen würde hier protestieren.
Am Rande
Ein Fahrzeug der Veranstalter trug das Kennzeichen „B-RD …“, darunter prangte der Aufkleber „Königreich Preußen“. Ja – was denn nun?
Eines der erklärten Ziele von PD ist die „Schaffung eines Bundeslandes Preußen mit Berlin und Brandenburg als Kerngebiet“.
Schaut, ich bin kein Deutscher!
Ein paar exemplarische Ausrufe von Mitgliedern von PD während der Veranstaltung:
- „Wir haben auch Juden bei uns.“
- „Schaut, ich bin kein Deutscher“, rief ein PDler, seinen Ausweis hochhaltend.
Reicht dies aus, um den Verdacht von Rassismus, Intoleranz und Islamophobie auszuräumen? Schaut man sich die politische Vergangenheit mancher Anhänger an, die u. a. über eine Mitgliedschaft bei NPD, DVU und anderen rechte Organisationen führte, dann darf man durchaus seine berechtigten Zweifel anmelden.
Bisher hat sich das rechte Spektrum meist eher zerstritten oder, wenn es denn in höhere politische Positionen gelangte, u. a. durch strafbare Handlungen ins Abseits gebracht. Darum sei jedem zu empfehlen, sich die Worte von Joachim Gauck zu verinnerlichen.
Ralf Salecker
Ein paar andere Beiträge zum Samstag:
Spandau bringt “Pro Deutschland” aus der Fassung
Gegen Fremdenfeindlichkeit: Spandau zeigt Flagge
Lautstarker Protest gegen Veranstaltung von «Pro Deutschland»