Spandauer Erinnerungen von Jörg Sonnabend 1942-1945 – Teil 2
Später installierte man im Rundfunk eine Einrichtung, die nannte sich „Luftlagemeldung“. Diese Durchsage kam nach jeder Nachrichtensendung. Brenzlig wurde es für uns, wenn dort hieß: „Schwere Bomberverbände im Anflug auf Nordwestdeutschland“. Wir wussten dann, dass entweder Hamburg oder Berlin „Maß genommen“ wird.
Hieß es dann später: „Schwere Bomberverbände im Raum Hannover Braunschweig“, dann wussten wir, dass Berlin das Ziel war. Das funktionierte natürlich nur in den Abendstunden oder auch später am Tage. Nachts wurde man von der Luftschutzsirene aus dem Schlaf gerissen, oder wenn man die Sirene nicht gehört hatte, von den Nachbarn geweckt. Das notdürftige Anziehen und greifen des Notfall-Koffers, hier waren immer die wichtigsten Papiere drin, musste dann innerhalb von Minuten geschehen. Es setzte dann schon das Flakfeuer ein.
Der erste schwerere Angriff, der unsere Gegend erreichte und an den ich mich gut erinnern kann, war der 1. März 1942. Unser erster Luftschutzkeller unter dem Haus war noch nicht fertig, wir mussten also in den Wohnungen bleiben. Da ja geteiltes Leid bekanntlich halbes Leid ist, versammelten sich die vier Familien, die das Haus bewohnten in einem Raum des Hauses. Es heulte und knallte und zwischendurch die Detonationen der Flakabwehr. Wie lange der Angriff gedauert hat kann ich heut nicht mehr sagen, man hat in der Gefahr kein Zeitgefühl. Jedenfalls kauerten wir uns auf den Fußboden und warteten buchstäblich, dass uns die Decke auf den Kopf fällt.
Dass wir diesen Angriff heil überstanden haben und dass sogar die Fensterscheiben überwiegend ganz geblieben sind haben wir dem Umstand zu verdanken, dass bei den ersten Angriffen noch nicht die schweren Sprengbomben und Luftminen eingesetzt wurden, sondern überwiegend Stabbrandbomben. Diese Brandbomben waren sechseckig, ca. 60 cm lang und hatten einen Durchmesser von ca. 5cm (alles nur geschätzt). Beim Aufschlag versprühten sie brennendes Magnesium und setzten die Umgebung in Brand. Wenn man schnell zur Stelle war konnte man sie noch löschen, allerdings nur mit Sand, Wasser war wirkungslos.
Die Werft und auch unser Wohnhaus bekamen an diesem 1. März etliche von diesen Brandbomben ab, die aber sämtlich von der Luftschutzwache gelöscht werden konnten. Trotzdem sind aber in unserer Nähe, in der Siedlung Weinmeisterhorn und Weinmeistergrund zwei Häuser abgebrannt. Unser erster Luftschutzkeller unter dem Haus, musste also schnellstens fertiggestellt werden. Fertigstellen hieß, er musste luftschutzmäßig hergerichtet werden.
Es wurden Holzbalken zur Unterstützung der Kellerdecke eingesetzt, Löschutensilien wurden deponiert. Dazu gehörten: ein Sandkasten, Wasserbehälter, eine Feuerpatsche und ein Einreißhaken. Auch ein großer Verbandskasten wurde an der Wand befestigt. Wenn ich mir heute die Statik dieses Kellers vor Augen führe so kann ich nur sagen, dass wir Glück hatten dass unser Haus nicht von schweren Bomben direkt getroffen wurde. Der Keller war weder bombensicher noch hätte er die Last des einstürzenden Hauses getragen, außerdem war er eine Mausefalle denn einen zweiten Ausgang gab es nicht. In diesem Keller haben wir die schweren Angriffe 1942/43 überlebt.
Jörg Sonnabend
Ende Teil 2 von 5