Zigarettenwährung, neue Einnahmequellen und neue Währung

Spandauer Kindheits-Erinnerungen von Jörg Sonnabend 1945-49

Teil 9

Tapetenmark: Reichsmark mit Wertmarke 1948
Tapetenmark: Reichsmark mit Wertmarke 1948

Der schreckliche Winter 47 ging schließlich auch vorbei und es folgte ein sehr warmer Sommer. Der Mangel beherrschte zwar weiter unser Leben aber die warmen Temperaturen ließen ein alles etwas leichter ertragen. Ich glaube ich hatte den ganzen Sommer kein Hemd an, eine kurze Hose bzw. eine Turnhose genügte. Wir gingen barfuss oder trugen die bereits erwähnten „Klapperlatschen“. Den Mangel an Kleidung konnte man so überspielen.

Ernährungsmäßig hatte sich nichts wesentlich verbessert, außer das die rationierten Lebensmittel jetzt wieder zu haben waren. Das im Garten selbst angebaute Gemüse trug auch etwas zur Verbesserung der Versorgung bei. Der Schulbetrieb hatte sich etwas normalisiert, es gab die ersten Schulhefte und auch die ersten Lehrbücher. Der kurz nach dem Krieg bei uns als „Junglehrer“ tätige Herr Schulz, war jetzt unser allgemein beliebter Klassenlehrer.

Zu den üblichen Schulstreichen, Prügeleien oder anderen Dummheiten die 13 jährige Jungs so drauf haben kam die Berührung mit dem Rauchen. Zigaretten gab es natürlich nicht zu kaufen, die gab es nur auf Raucherkarte oder auf dem Schwarzen Markt. Wir hatten da eine geniale Idee, in der Nähe unserer Schule wohnte ein Schwarzhändler oder „Schieber“ wie man damals sagte, der verkaufte Ami-Zigaretten stückweise für ca. 7 oder 8 Reichsmark. Drei oder Vier Jungs legten das Geld für eine Zigarette zusammen und kauften diese in der großen Pause beim Schieber. Wir verzogen uns in den Keller einer Ruine neben der Schule und ließen die Zigarette kreisen. Außer, dass uns manchmal schlecht wurde hatten wir nicht viel davon, aber es war tolles Erlebnis.

Mein Vater hatte sich zu dieser Zeit eine neue Einnahmequelle zugelegt und die hieß: Verkauf von Booten an Amerikaner. Obwohl wir Britischer Sektor waren zogen bei uns vermehrt Amis durch die verbliebenen Bootshäuser: z.B. Blau-Rot oder Bootsstände Hinz, auf der Suche nach Booten. Besonders beliebt waren hier offene Segeljollen, ohne Mast und Takelage, die man mit einem Außenborder betreiben konnte.Mein Vater bekam das schnell mit und vermittelte die Verkäufe. Verkäufer waren meistens Frauen deren Männer nicht aus dem Krieg zurückgekehrt und die allein mit den Booten nichts anfangen konnten. Wie die Verkaufspreise im Einzelnen aussahen, ob in „Zigarettenwährung“ oder in alter Reichsmark bezahlt wurde, das weiß ich heute nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass mein Vater immer Provision in Form von Zigaretten, Nescafe oder auch mal Büchsenbutter einstrich. Bei einem Besuch von Amerikanern im Bootshaus „Blau-Rot“ habe ich das erste Mal in meinem Leben Cola aus Dosen getrunken und „Donuts“ gegessen.

Währungsreform – Die Grenzen sind dicht

Der folgende Winter 1947/48 war nicht so streng, wir hatten aber weiter mit der von Mängeln beherrschten Volkswirtschaft zu kämpfen. Es wurden weiter Hamsterfahrten unternommen und die Beschaffung von Brennmaterial fand seine Fortsetzung. Der Juni 1948 bescherte uns ein Ereignis, dass die Grundlage für den späteren wirtschaftlichen Aufschwung Westdeutschlands und Westberlin sein sollte: Die Währungsreform! Jeder Bürger konnte 40 alte Reichsmark in 40 D-Mark eintauschen. Westberlin wurde, zum Ärger der Sowjetunion, in die westliche Währungsreform mit einbezogen. Aber, ein kleiner Unterschied muss sein: die D-Mark-Scheine die in Westberlin ausgegeben wurden, waren mit einem großen „B“ gestempelt.

Da der Osten das nicht auf sich sitzen lassen konnte, gab auch er neue Geldscheine heraus. Was ich nicht weiß ist, ob man das auch als Währungsreform im wirtschaftlichen Sinne bezeichnet hat. Sie nannten ihr neues Geld „Mark der Deutschen Notenbank“. Weltgeltung hat dieses „Ostgeld“, wie es genannt wurde, jedenfalls nie erlangt. Da die Sowjetische Besatzungszone scheinbar noch nicht die Möglichkeit hatte neue Geldscheine zu drucken begnügte man sich vorerst damit, dass man die alten Reichsmarkscheine mit einer briefmarkengroßen Wertmarke beklebte. Die Berliner hatten auch gleich den Spitznamen dafür parat: sie nannten Sie „Tapetenmark“. Da hatten wir Bewohner der Westsektoren nun unser neues Geld und dachten jetzt geht es aufwärts, Lebensmittelkarten ade: Weit gefehlt!

Die Sowjetunion, die Westberlin (wie es später genannt wurde) unbedingt in die Knie zwingen wollte machte aus vielerlei politischen Gründen Ende Juni 48 die Grenzen dicht. Die Westalliierten, die Berlin unter keinen Umständen preisgeben wollten organisierten unter der Leitung des amerikanischen Generals Clay die Versorgung Berlins aus der Luft. Es begann das gigantische Unternehmen, das unter den Namen „Luftbrücke“ in die Geschichte einging.

Für uns aber ging die die Mangelwirtschaft weiter. Wir hatten jetzt zwar die D-Mark. behielten aber weiter unsere Lebensmittelkarten.

 

Jörg Sonnabend

 

Ende von Teil 9

 

 

Kindheitserinnerungen von Jörg Sonnabend 1945 bis 1949

  1. Der Krieg war zu Ende. Aber die Leiden und Entbehrungen sollten für uns erst beginnen.
    Spandauer Kindheits-Erinnerungen von Jörg Sonnabend 1945-49 – Teil 1
  2. Ein Abenteuerlicher Schulweg in der Spandauer Nachkriegszeit
    Spandauer Kindheits-Erinnerungen von Jörg Sonnabend 1945-49 – Teil 2
  3. Lebensmittelversorgung der Bevölkerung nach Kriegsende
    Spandauer Kindheits-Erinnerungen von Jörg Sonnabend 1945-49 – Teil 3
  4. Schlusengeld – 1000 Reichsmark für ein Fahrrad
    Spandauer Kindheits-Erinnerungen von Jörg Sonnabend 1945-49 – Teil 4
  5. Sicher stellen von Heizmaterial und Nahrungsbeschaffung nach Indianer-Art
    Spandauer Kindheits-Erinnerungen von Jörg Sonnabend 1945-49 – Teil 5
  6. Schwarzmarkt und Wintervergnügen in Spandau
    Spandauer Kindheits-Erinnerungen von Jörg Sonnabend 1945-49 – Teil 6
  7. Zwischen grenzenloser Freiheit und Schuldisziplin
    Spandauer Kindheits-Erinnerungen von Jörg Sonnabend 1945-49 – Teil 7

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