Überhangmandate – Bundestagswahl 2009

Legal ja, aber legitim?

Nachdem die Bundestagswahl vor Wochen noch ein langweiliges Ereignis war, sieht dies nun etwas anders aus. Nicht etwa, weil die politischen Themen inzwischen die Parteien und Kandidaten konturenschärfer werden lassen. Da hat sich nicht wirklich etwas geändert.
Vielmehr ist ein Begriff inzwischen in aller Munde, den vormals kaum jemand erklären konnte – das Überhangmandat. Um diese zu verstehen muss man sich die Bedeutung der beiden Kreuze vor Augen führen, die jeder auf seinem Stimmzettel zur Bundestagswahl machen kann. Mit der Erststimme wird ein Direktkandidat eines Wahlkreises gewählt, von denen es in Berlin 12 gibt. Nur der Kandidat, mit den meisten Stimmen, bekommt seinen Sitz im Bundestag. Alle anderen gehen erst einmal „leer“ aus. Die Zweitstimme bestimmt dann keine Person, sondern vielmehr die Partei. Mit ihr wird dann das prozentuale Verhältnis der Zusammensetzung des Bundestages bestimmt. Hier gibt es dann keine „Verlierer“. Voraussetzung ist natürlich die Partei erreicht mindestens fünf Prozent der Stimmen. In der Regel soll es so sein, dass eine Hälfte des Bundestages direkt und die andere indirekt bestimmt wird.

So erklärt sich auch, warum Berlin etwa 20 Kandidaten in den Bundestag entsendet, obwohl nur 12 Direktkandidaten gewählt werden. Die Kandidaten über die Zweitstimme bekommen ihren Sitz im Parlament über die Landeslisten der Parteien.

„Bei Bundestagswahlen wird zuerst festgestellt, wie viele Mandate einer Partei zustehen. Danach wird errechnet, in welchem Bundesland einer Partei wie viele Mandate zustehen, abhängig davon, in welchen Bundesländern sie besser abgeschnitten hat als in anderen. Danach wird innerhalb eines Bundeslandes geprüft, wie viele Mandate die Partei bereits durch Direktmandate (in Wahlkreisen) erhalten hat. Die übrigen Mandate, die der Partei in diesem Bundesland zustehen, werden anhand der jeweiligen Landesliste der Partei zugeteilt. Dabei kann es zum Phänomen der Überhangmandate kommen: Hat eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate bekommen als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis im Bundesland zustehen, behält sie trotzdem alle Direktmandate. Die überzähligen nennt man Überhangmandate. Eventuelle Ausgleichsmandate für die anderen Parteien gibt es nicht.“
Inzwischen kommt es häufiger vor, dass der Kandidat einer bestimmten Partei mit der Erststimme gewählt, die Zweitstimme dann aber einer anderen Partei gegeben wird. In den Anfängen der Bundesrepublik war ein taktisches Wahlverhalten (Stimmensplitting) noch eher selten. Wahlforscher sprechen von etwa fünf Prozent der Wähler. Inzwischen können es durchaus 25 Prozent der Menschen an den Wahlurnen sein, die so ihre Stimme abgeben.Inzwischen hat sogar ein Grüner Direktkandidat dazu aufgerufen, nicht ihn, sondern seinen Konkurrenten von der SPD zu wählen, um ein Überhangmandat des CDU-Mitbewerbers um das Direktmandat zu verhindern.
Bekommt nun eine Partei mehr Erststimmen (Direktmandate), als Zweitstimmen („Verhältnismandate“), dann können mehr Kandidaten in den Bundestag einziehen, als es nach dem Ergebnis der Verhältniswahl (Zweitstimmen) zu erwarten wäre. Direktkandidaten ziehen auch dann in den Bundestag ein, wenn ihre Partei an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert ist. Ausschließlich die beiden Volksparteien SPD und CDU haben seit 1990 davon profitiert. Sie haben daher auch kein Interesse, etwas daran zu ändern, wie es die Grünen gewollt haben.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 3. Juli 2008 nicht die Überhangmandate als solche bemängelt, sondern eine ganz bestimmte Auswirkung, nämlich dann, wenn sich Stimmen gegen den Wählerwillen auswirken. „Negatives Stimmgewicht (auch inverser Erfolgswert) bezeichnet einen Effekt bei Wahlen, bei dem sich Stimmen gegen den Wählerwillen auswirken; also entweder Stimmen für eine Partei, die für diese einen Verlust an Sitzen bedeuten oder Stimmen, die für eine Partei nicht abgegeben werden und dieser mehr Sitze einbringen. Der Effekt, dass eine Stimme für eine Partei dieser Verluste beschert, widerspricht dem Anspruch, dass jede Stimme gleich viel zählen sollte (gleiche Wahl). Er widerspricht auch dem Anspruch, dass sich die Stimme nicht explizit gegen den Wählerwillen auswirken darf.“
Beispiel: Angenommen, die Partei hätte bei der Wahl in einem Bundesland mehr Zweitstimmen bekommen, dann gäbe es dort kein Überhangmandat. Aber dadurch, dass die Partei im Bundesland A mehr Stimmen gehabt hat, kann sich die Verteilung der Mandate nach Bundesländern ändern. Die Partei bekäme etwa im Bundesland B ein Mandat weniger. Die Partei hätte also trotz mehr Zweitstimmen ein Mandat insgesamt eingebüßt. Diesen Umstand will dass Bundesverfassungsgericht im Wahlgesetz bis zum 30. Juni 2011 geändert haben.
Überhangmandate sind also prinzipiell dem Grundgesetz konform.
Bei dieser Bundestagswahl könnten CDU und FDP die Mehrheit im Bundestag erringen, obwohl sie keine wirkliche Mehrheit über die Wählerstimmen bekommen. Die Anzahl der Überhangmandate kann ausreichen, um auch mit weniger als 50 Prozent der Stimmen die Wahl für sich zu entscheiden. Diesem Umstand halten viele für problematisch.
In Spandau wird es diesmal möglicherweise ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Kai Wegener (CDU) und Swen Schulz (SPD) geben. Die übrigen Kandidaten haben keine Chance, über die Erststimmen in den Bundestag einzuziehen. Hat Swen Schulz bei den letzten Wahlen noch relativ sicher sein Mandat erringen können, wird es diesmal sehr knapp werden. Selbst bei einer „Niederlage“ über die Erststimmen wird Kai Wegener seinen Sitz im Bundestag über die Landesliste erhalten. Auf der Landesliste steht er auf einem sicheren Platz Fünf.

About Ralf Salecker

Ralf Salecker, freier Fotograf und Journalist (www.salecker.info)