Auf den Spuren der Vergangenheit
Meine Mutter wohnt seit 1961 in Hannover. Ihrer Heimatstadt Berlin damals aus familiären Gründen den Rücken zu kehren fiel ihr sehr schwer. Darum ist es stets für sie ein Hochgenuss, wenn sie einen Kurzabstecher in ihr geliebtes Spandau machen kann. Ich hole sie dann meist am Bahnhof Spandau (früher Spandau West) ab, und dann durchlaufen wir oft die Straßen, die ihr noch von früher vertraut sind.
Bei einem ihrer Besuche machte ich dann Fotos, um sie ihr als Erinnerung in einem kleinen Buch zusammen zu stellen. Wir begannen unseren Ausflug Seegefelder, Ecke Galenstraße. In einem Elektro-Laden an der Ecke hatten meine Eltern ca. 1951 einst ihr erstes Radio gekauft. Dort gab es noch erstklassige Beratung – hier war der Kunde König. Wir wohnten damals in der Kolonie Transvaal, gegenüber dem alten Bahnhofs-Eingang. Die Kolonie musste Hochhäusern weichen, doch das Gebäude neben dem Bahnhof war seinerzeit eine Bücherei, hier deckte ich mich schon als Kind mit Lesestoff ein.
Bei unserem Erinnerungs-Spaziergang liefen wir jetzt erst einmal die Seegefelder Straße entlang. Die alten Häuser auf der linken Straßenseite kannten wir noch von früher. Doch dann suchten wir die Zeppelinstraße. Irgendwie erkannten wir den Weg dorthin kaum noch. Ach, doch – da war ja die Straße an der Kappe. Und auch das Haus an der Ecke vor den Spektewiesen stand ja immer noch. Sogar der eine Flachbau Zeppelinstraße Ecke Spekteweg existierte noch. Hierhin hatten wir früher unsere ersten Perlonstrümpfe zum Maschen-Aufnehmen gebracht. Wie oft mochte inzwischen der Besitzer gewechselt haben?
Wir liefen die Zeppelinstraße hoch. Rechts ging es zum Germersheimer Platz. Die Häuser ringsum waren uns vertraut. Alles hatte sich äußerlich kaum verändert. Auch auf der linken Straßenseite gab es noch den kleinen Weg, der damals zu der Laubenkolonie Gute Hoffnung geführt hatte. Doch jetzt standen dort Hochhäuser. Wir liefen durch die Hochhäuser hindurch. Viele unbekannte Straßennamen verwirrten uns.
Doch dann kamen wir zur Ballersdorfer Straße. Die gab es also noch. Und von weitem sahen wir auch einen Uhrenturm. Das war die Schule, die ich damals besuchte. Durch einen Zaun guckten wir auf das vertraute Gebäude, dann liefen wir die Iserlohner Straße entlang und waren nun am Eingang unserer ehemaligen Schule, denn auch meine Mutter hatte hier ihre Schulzeit von 1934 bis 1939 verbracht. Auch den verwitterten steinernen Bären hatten wir noch in Erinnerung. Früher war das hier die 24. Volksschule Bezirk Spandau Groß-Berlin. Ich wurde hier am 1. September 1950 eingeschult. Damals kam ich schon nach einem halben Jahr in die zweite Klasse. Und ab der dritten Klasse am 16. April 1952 nannte sich die Schule dann 9. Grundschule Berlin-Spandau. Jetzt befindet sich hier die B.-Traven-Oberschule.
Nach einem kurzen Augenblick der Rührung marschierten wir weiter. Es ging zur Falkenseer Chaussee. Quer durch die Hochhäuser, die sich jetzt hier befinden, liefen wir Richtung Friedhof an den Kisseln. Hier waren unsere Vorfahren begraben. Doch wir wollten keinen Friedhofsbesuch machen sondern uns im Café Glase in der Pionierstraße mit Onkel Gerhard treffen. Das ist der Bruder meiner Mutter, der inzwischen leider verstorben ist.
Nach einer gemütlichen Kaffeepause mussten wir allerdings weiter. Wir fuhren mit dem Bus zur Spandauer Altstadt, um dort über die Brücke zum Juliusturm zu laufen. Hier hatte meine Mutter als junge Frau in den letzten Kriegsjahren im Heereslaboratorium gearbeitet.
Nach einem Blick auf die Zitadelle mussten wir uns jetzt auf den Rückweg machen. Vorbei ging es an der Nicolai-Kirche, in der ich getauft worden war. Links war der Spandauer Markt, den kannten wir auch noch von früher. Weiter ging es Richtung Spandauer Rathaus. Alte Gebäude hatten Kaufhäusern weichen müssen. Doch das Haus auf der rechten Seite erkannten wir noch. Hier befand sich zu meiner Jugendzeit die alte Spandauer Hauptpost.
Vor dem Rathaus befand sich die kleine Seitenstraße „Am Wall“. Durch einen Übergang konnten wir die Breite Straße entdecken. Auf dieser Rathausseite befand sich das Standesamt, hier hatten meine Mutter und auch ich geheiratet.
Jetzt waren wir an unserem Ausgangspunkt angelangt. Noch einmal guckten wir die Fußgängerzone bis zur Nicolai-Kirche entlang. Doch dann mussten wir die Straße überqueren und zum Bahnhof laufen, denn Mutti musste pünktlich ihren Zug nach Hannover erreichen.
Karin Pospich