Achtung Satire

Nun besingt auch Dieter Hallervorden den „Terroristen“ Erdoğan

Was darf Satire?

Achtung SatireDarf Satire alles? Kann Satire wirken, wenn sie nicht verletzt? Die Freiheit der Kunst ist ein hohes Gut im westlich geprägten Teil Europas. Über die Qualität von Satire kann und darf man trefflich streiten, auch darüber, warum manche eher „Opfer“ von Satire werden, als andere. Warum wurde gerade Erdoğan zur Zielscheibe, obwohl wir als Land auch mit anderen Staaten schmutzige Geschäfte abwickeln? Wird es mit der moralisch fragwürdigen Vereinbarung zum „Schutz“ europäischer Außengrenzen auch dem letzten Bürger klar, dass europäische Werte sich nicht dadurch verteidigen lassen, indem man anderen Geld und sonstige geldwerte Vorteile verschafft – nur um sich nicht selbst die Finger schmutzig machen zu müssen.

Beim Terroranschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo schienen sich noch fast alle einig zu sein. Satire darf und muss Grenzen überschreiten dürfen.

Das Gesamtwerk muss betrachtet werden

Jan Böhmermann hat mit seiner Form des Schmähgedichtes einen interessanten Zwitter konstruiert, der rechtlich wahrscheinlich nicht angreifbar ist. Seine Einleitung zum Gedicht machte klar, was rechtlich nicht erlaubt ist. Eine Klage wegen Beleidigung wird wohl kaum Aussicht auf Erfolg haben, auch wenn einige meinen, dass die Einleitung zum Gedicht eher ein juristischer Winkelzug sei, der auf rechtlich wackeligen Beinen stände.

Die Qualität des Gedichtes ist zweifelsohne schlecht. Es nur als derb abzutun wäre leichtfertig. Es wäre eindeutig beleidigend und auch rassistisch – wenn es als Werk alleine stehen würde. Das genau tut es aber nicht. Man kann und darf Jan Böhmermann genügend Verstand unterstellen, eben keine platte Beleidigung erzielen zu wollen. Er hat mit der Einleitung zum Schmähgedicht einen Kontext geschaffen, der die Auseinandersetzung auf die Spitze treiben sollte und gleichzeitig den Versuch unternommen, wie weit der Bogen Satire gespannt werden darf. Manche sind in die „Falle“ getappt, wenn sie denn eine gewesen ist – was zu hoffen ist.

Wenn Potentaten ihr „Recht“ fordern

Fragwürdig wird die Haltung zu diesem Teil unseres freiheitlich-demokratischen Systems, wenn plötzlich ein Regierungschef, in diesem Fall der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan, der seine eigene Bevölkerung mit Krieg überzieht, demokratische Grundwerte mit Füßen tritt und in den eigenen Gefängnissen foltern lässt, beleidigt reagiert und dann noch fast eilfertige Unterstützung durch einen Teil der deutschen Regierung bekommen. Diplomatie um jeden Preis, nur um ein moralisch fragwürdiges Vertragswerk nicht zu gefährden? Das geht gar nicht!

Die öffentlich-mediale Auseinandersetzung sorgt für eine spannende Auseinandersetzung mit diesem Thema. Das tut uns allen gut. Es geht eben nicht allein um das Gedicht selbst, sondern darum, ein wenig mehr die Augen zu öffnen für die Geschehnisse in dieser Welt – und die Bereitschaft, auch öffentlich darauf zu reagieren. Das kann mit den Mitteln der Kunst geschehen, journalistisch in unterschiedlichsten Medien oder indem Wähler ihren zuständigen Abgeordneten einen deutlichen Brief schreiben. Beteiligung am gesellschaftlichen Geschehen ist auf unterschiedlichste Art und Weise möglich, wir müssen es nur nutzen wollen.

Die mehr oder weniger differenzierte mediale Auseinandersetzung zeigt, dass Demokratie und Medien funktionieren – entgegen der Behauptungen einiger Gruppierungen, wie z.B. der AfD. Springer-Chef Mathias Döpfer hat sich mit Böhmermann solidarisch erklärt, ebenso, wie viele andere. Manche tun dies inhaltlich ernsthaft, andere mit den Mitteln der Satire, wie z.B. „Zentralrat der Ziegen zeigt Jan Böhmermann wegen Beleidigung an“.

Konträre Positionen können und müssen vertreten werden. Neben der Diskussion über die Form von Kritik geht es darum, sich kreativ öffentlich zu beteiligen. Schwarz-weiße Vereinfachungen haben noch nie weitergeholfen. Es ist traurig, dass das ZDF nicht den Mut besaß, den Neo Magazin Royale Beitrag weiter online zu belassen. Damit haben die Verantwortlichen des Senders sich keinen Gefallen getan.

Nun hat auch der Klamauk-Komiker Hallervorden ein Spottlied auf Erdoğan veröffentlicht. Ob er nur auf einer breiter werdenden Solidaritätswelle für Böhmermann mitschwimmt, sei dahingestellt. Inhaltlich und musikalisch reist es nicht vom Hocker. Andererseits gibt es unterschiedlichste Zielgruppen, die alle bedient werden wollen.

Satire kann etwas bewirken. Nicht Böhmermann allein hat dies geschafft. Den Anfang hatte extra 3 mit seinem Beitrag gemacht. Erdogan war so dumm, sich darüber öffentlich zu echauffieren und hat mit seiner Reaktion genau das Gegenteil erreicht.

Die türkische Regierung oder besser gesagt Erdoğan erwartet/fordert, dass Jan Böhmermann für sein Erdoğan-Gedicht strafrechtlich verfolgt wird. Die Bundesregierung will in Kürze prüfen, wie sie darauf reagieren soll. Man darf sehr gespannt sein!

About Ralf Salecker

Ralf Salecker, freier Fotograf und Journalist (www.salecker.info)