Spandauer Kindheits-Erinnerungen von Jörg Sonnabend 1945-49
Teil 7
Hier möchte ich mal ein Wort und auch ein Lob zu meinen Eltern einflechten. Mein Vater, der Anfang 1946 aus britischer Gefangenschaft zurückgekehrt war, arbeitete bei den Engländern in der Schmidt-Knobelsdorff-Kaserne in der Autowerkstatt und meine Mutter hatte ihre Tätigkeit als Lohnbuchhalterin auf der Lanke-Werft wieder aufgenommen. Die Werft hielt sich zu dieser Zeit mit Reparaturen, Umbauten und auch mit Arbeiten für die Engländer über Wasser.
Meine Eltern ließen mir jedenfalls alle Freiheiten, ob dies aus pädagogischen Gründen geschah oder ob sie einfach keine Zeit hatten konnte bis heute nicht ergründen. Einige Pflichten hatte ich natürlich auch zu übernehmen. Da wir einen Garten zur Selbstversorgung mit Gemüse hatten, musste ich täglich den Garten mit einer Gießkanne bewässern, einen Gartenschlauch gab es nicht. Auch musste ich immer für frisches Kaninchenfutter sorgen und im Winter war die Beschaffung von Brennmaterial angesagt.
Auch Lehrer haben Humor
Bei aller Freiheit, die wir hier zwischen Wasser und Wald genossen, ging die Schule natürlich weiter. Die Fenster waren inzwischen weitgehend repariert, aber ein Mangel an Lehrmaterialien und Schreibheften war weiter vorhanden, es musste weiter improvisiert werden. Hier gab es eine lustige Begebenheit: wir hatten einen Lehrer der gerne zur Bestrafung sog. Strafarbeiten aufgab, nach dem Motto schreib 50X: „Ich soll den Unterricht nicht stören!“ oder Ähnliches. Als er einen Klassenkameraden eine solche Strafarbeit aufgab, sagte der einfach: „Geht nicht, ich habe kein Papier“, worauf der Lehrer wutentbrannt entgegnete: „Schreib meinetwegen auf Zeitungsrändern“. Gesagt getan, am nächsten Tag übergab der Schüler dem Lehrer eine Rolle Papier. Er hatte es wahr gemacht, er hatte Zeitungsränder abgeschnitten, aneinander geklebt und dort den Satz 50X raufgeschrieben. Alle lachten, auch der Lehrer und es gab nie wieder Strafarbeiten.
Einiges hatte sich im Schulalltag doch geändert. Da nicht genügend Lehrkräfte zur Verfügung standen wurden sog. Junglehrer eingestellt. Das waren Lehrer, die ihr Studium während des Krieges abbrechen mussten um Soldat zu werden, Die, die das Glück hatten nach kurzer Gefangenschaft nach Hause zurückzukehren konnten ihr Studium fortsetzen, mussten aber am Vormittag der Schule zur Verfügung stehen. Natürlich durften sie den Unterricht noch nicht allein gestalten sondern sie waren immer zusammen mit einem „Alt“-Lehrer in der Klasse.
Nach Ablegen der üblichen Prüfungen wurden sie dann voll in den Schuldienst übernommen. Diese Lehrer waren, da sie noch verhältnismäßig jung waren, bei uns sehr beliebt. Einige von ihnen haben später noch in Spandau als Schulräte oder sogar als Bildungsstadtrat Karriere gemacht. Der Junglehrer der 1946 in unsere Klasse kam hieß Schulz, er wurde später unser Klassenlehrer und hat uns bis zur Schulentlassung 1949 begleitet. Er wohnte in der Weverstraße, ich hatte später noch Kontakt zu ihm, leider ist er verhältnismäßig frühzeitig verstorben.
Jörg Sonnabend
Ende von Teil 7
Kindheitserinnerungen von Jörg Sonnabend 1945 bis 1949
- Der Krieg war zu Ende. Aber die Leiden und Entbehrungen sollten für uns erst beginnen.
Spandauer Kindheits-Erinnerungen von Jörg Sonnabend 1945-49 – Teil 1 - Ein Abenteuerlicher Schulweg in der Spandauer Nachkriegszeit
Spandauer Kindheits-Erinnerungen von Jörg Sonnabend 1945-49 – Teil 2 - Lebensmittelversorgung der Bevölkerung nach Kriegsende
Spandauer Kindheits-Erinnerungen von Jörg Sonnabend 1945-49 – Teil 3 - Schlusengeld – 1000 Reichsmark für ein Fahrrad
Spandauer Kindheits-Erinnerungen von Jörg Sonnabend 1945-49 – Teil 4 - Sicher stellen von Heizmaterial und Nahrungsbeschaffung nach Indianer-Art
Spandauer Kindheits-Erinnerungen von Jörg Sonnabend 1945-49 – Teil 5 - Schwarzmarkt und Wintervergnügen in Spandau
Spandauer Kindheits-Erinnerungen von Jörg Sonnabend 1945-49 – Teil 6 - Zwischen grenzenloser Freiheit und Schuldisziplin
Spandauer Kindheits-Erinnerungen von Jörg Sonnabend 1945-49 – Teil 7